Donnerstag, 18. Mai 2023

Barrierefreiheit und Wahlkampfveranstaltungen.

Ich denke, es hat sich noch nie jemand so richtig Gedanken darüber gemacht, dass auch Menschen mit Behinderungen Wahlkampf machen und auch gerne an Wahlkampfveranstaltungen teilnehmen. Wer möchte nicht schon mal seine Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidat aus der Nähe sehen, mitfiebern, jubeln und mitfeiern. 

Die Realität sieht so aus: Anmeldung nur über das Internet und einem nicht-barrierefreiem Anmeldesystem, manchmal aber auch durch eine Meldung über E-Mail. Eine Anmeldebestätigung folgt mit einer Skizze der Zuschauerbereiche und Eingänge. Natürlich nicht barrierefrei. 

Einlass ab 15:00 Uhr. Ein Gedränge, als gäbe es die letzte Mahlzeit, obwohl ja alle einen garantierten Platz haben. 

Vor den Rollstuhlfahrern baut sich eine Mauer entzückender Rücken auf begleitet vom Tanz einladender Ärsche, die auf Gesichtshöhe ihr Bestes von sich geben. Ungeduldige, der letzte Platz könnt ja vergeben sein, drängeln sich von allen Seiten, zwischen Absperrgittern und Rollstühlen, Personen durch, um dem Menschen mit Rollator den Platz zum Eingang zu nehmen und schimpfen, weil man ihnen angeblich mit Absicht in die Hacken fährt. Die Nachbarin schimpft über die, die bequem in den Rollstühlen sitzen, sie müssen ja nicht Stunden lang anstehen, sie haben es gut und sollen doch gefälligst Geduld haben.

Bild zeigt stilisiert eine große bunte Menschenmenge.
Ja, und dann kommt man zur Einlasskontrolle, der natürlich viel zu eng für einen Rollstuhl ist. Die Security weigert sich das Gatter weiter zu öffnen, es könnten ja andere Personen vorbeischlupfen und nicht kontrolliert werden. Dann schafft man es endlich und da liegt der eine oder andere nicht befestigte Kabelschacht auf dem Weg. Eine weitere Herausforderung ist, ihn zu überwinden. Wo ist die Kollegin mit ihrem Beatmungsgerät geblieben? Scheint verschollen zu sein. Und dann, nein, ist nicht so. Die Security lässt sie nicht rein. Sie hat ja einen Rucksack dabei und damit darf man nicht ins „Sperrgebiet“. Sie soll ihn gefälligst draußen lassen. Und wohin mit ihrem Sauerstoff? Ist ja nicht das Problem der Security. Kollegin kommt nicht rein! 

Und nun heißt es einen Platz zu finden. Freundlich und nett kommt die Platzeinweiserin daher. „Da hinten, in der Ecke, da ist Platz für euch und ihr seid nicht im Weg.“ NEIN, wollen wir nicht, wir wollen mitten im Geschehen sein und nicht in eine Ecke abgeschoben sein! Klappt nach heftigen Diskussionen und die Veranstaltung kann endlich los gehen. Wir sitzen in der hintersten Reihe an den Kopfenden der Tische in der Nähe der Ein- und Ausgänge des Sicherheitsbereichs. Vor uns mehrere Tischreihen voller fröhlicher Menschen und dann kommt die Bühne. 

Es geht los. Die Moderatorin erklärt uns den Ablauf, die ersten Reden werden gehalten und die Menschen mit Hörschwierigkeiten schauen entgeistert auf die Leinwände, auf die das Ganze in Groß projiziert wird. Klasse, alle können gut sehen aber gehörlose Menschen können nur Raten was da passiert. Keine Audiotranskription (Untertitel), keine Übersetzung in deutsche Gebärdensprache. Hat man nicht dran gedacht, hätte man aber machen können, nein, müssen.

Es wird immer spannender, die Spitzenkandidaten kommen auf den Punkt, die Gäste klatschen und Jubeln und am Ende Standing-Ovation bei den Höhepunkten. Alle stehen und wieder tut sich die Mauer mit entzückenden Rücken und einladender Ärsche auf. Das ist der Höhepunkt für Rollstuhlfahrer und die Wahlkampfveranstaltung ist zu ende.

❓ 

• Warum lässt man Menschen mit Behinderungen nicht als erstes in den abgesperrten Bereich, sodass sie sich direkt an der Bühne vor der Masse an Menschen platzieren können? Sie verhindern dann keine Fluchtwege haben das ganze Geschehen im Blick und können am Feiern TEILHABEN.

• Warum wird die Barrierefreiheit nicht von vorneherein mit eingeplant? Ein Beispiel könnten die Fußballstadien sein, die den Menschen mit Rollstühlen teilweise sogar einer Begleitperson kostenlosen Eintritt gewähren?

• Warum ist die Security nicht rücksichtsvoller? Werden sie nicht entsprechend geschult? Wenn nicht, warum nicht? 

Die Politik muss Vorbild sein, sonst wird das nichts mit Teilhabe, Partizipation und Inklusion! 

© 2023 Udo Schmidt


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Barrierefreiheit und Wahlkampfveranstaltungen.

Ich denke, es hat sich noch nie jemand so richtig Gedanken darüber gemacht, dass auch Menschen mit Behinderungen Wahlkampf machen und auch g...