Am 24. Januar fand bei SelbstBestimmt Leben e.V. ein politischer Stammtisch statt auf dem ich ein Referat zum Thema "Politische Teilhabe" halten durfte.
Ein spannender Abend mit vielen interessanten Fragen. Meinen Leitfaden, den ich als Präsentation vorgestellt habe, möchte ich hier öffentlich machen:
Einladung zum Stammtisch |
Auch in der aktiven Politik gilt:
Behindert ist man nicht,
behindert wird man und "Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden", so steht es in Artikel 3 des
Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
Wie sieht es mit der
politischen Teilhabe der Menschen mit Behinderungen in der Realität
aus und was hindert uns daran politisch stärker aktiv zu sein?
Als einer der ersten Vertragsstaaten hat Deutschland das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im März 2007 unterzeichnet und im Mai 2008 ist die UN-BRK in Kraft getreten. „Die Konvention konkretisiert die universellen Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen und stellt klar, dass diese ein uneingeschränktes und selbstverständliches Recht auf Teilhabe besitzen“.
Und wie sieht es nun
wirklich in der Realität aus? Ist politische Teilhabe von Menschen
mit Behinderungen auch tatsächlich erwünscht?
Wir müssen uns
zunächst mit ein paar wichtigen und klärenden Fragen beschäftigen.
Was ist eine aktive Teilhabe und was die passive Teilhabe am
politischen Leben?
Aktives und passives Wahlrecht, was ist das?
Der Artikel 29 der
UN-BRK sagt folgendes aus:
Teilhabe am
politischen und öffentlichen Leben
(1) Die
Vertragsstaaten garantieren Menschen mit Behinderungen die
politischen Rechte
sowie die
Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen, und
verpflichten sich,
25a)
sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit
anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben
teilhaben können, sei es unmittelbar oder durch frei gewählte
Vertreter oder Vertreterinnen, was auch das Recht und die Möglichkeit
einschließt, zu wählen und gewählt zu werden; unter anderem
i) stellen sie
sicher, dass die Wahlverfahren, -einrichtungen und -materialien
geeignet,
zugänglich und
leicht zu verstehen und zu handhaben sind;
ii) schützen sie
das Recht von Menschen mit Behinderungen, bei Wahlen und
Volksabstimmungen in
geheimer Abstimmung ohne Einschüchterung ihre Stimme
abzugeben, bei
Wahlen zu kandidieren, ein Amt wirksam innezuhaben und alle
öffentlichen Aufgaben auf allen Ebenen staatlicher Tätigkeit
wahrzunehmen, indem sie gegebenenfalls die Nutzung unterstützender
und neuer Technologien erleichtern;
iii) garantieren sie
die freie Willensäußerung von Menschen mit Behinderungen als Wähler
und Wählerinnen und
erlauben zu diesem Zweck im Bedarfsfall auf Wunsch, dass sie sich bei
der Stimmabgabe durch eine Person ihrer Wahl unterstützen lassen;
b) aktiv ein Umfeld
zu fördern, in dem Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung
und gleichberechtigt
mit anderen wirksam und umfassend an der Gestaltung der
öffentlichen
Angelegenheiten mitwirken können, und ihre Mitwirkung an den
öffentlichen
Angelegenheiten zu
begünstigen, unter anderem
i) die Mitarbeit in
nichtstaatlichen Organisationen und Vereinigungen, die sich mit dem
öffentlichen und
politischen Leben ihres Landes befassen, und an den Tätigkeiten und
der
Verwaltung
politischer Parteien;
ii) die Bildung von
Organisationen von Menschen mit Behinderungen, die sie auf
internationaler,
nationaler, regionaler und lokaler Ebene vertreten, und den Beitritt
zu
solchen
Organisationen.
Wählen gehen und sich wählen lassen
Konkretisierend
legt Artikel 29 bezüglich des aktiven
Wahlrechts
(das
aktive Wählen gehen) fest,
dass Wahlverfahren, Wahleinrichtungen und Wahlmaterialien geeignet,
zugänglich sowie leicht zu verstehen und zu handhaben sein müssen.
Bei der Stimmabgabe sollen die Vertragsstaaten erlauben, dass sich
Menschen mit Behinderungen im Bedarfsfall auf ihren Wunsch bei der
Stimmabgabe durch eine Person ihrer eigenen Wahl unterstützen
lassen.
Das passive
Wahlrecht (sich wählen lassen) soll gegebenenfalls durch die
Erleichterung der Nutzung unterstützender und neuer Technologien für
die Wahrnehmung eines Amtes geschützt sein.
Ausschluss vom
Wahlrecht
Im Bremisches Wahlgesetz (BremWahlG) steht seit
der Änderung vom 04.09.2018 im § 2 „Ausschluss vom Wahlrecht“
Gleiches gilt seit
Mai 2019 auch für Bundes- und Europawahlen.
Ist die politische Teilhabe also gewollt?
Doch die Praxis sieht anders aus.
Um Mitglied zu werden, drucken Sie bitte das Antragsformular (PDF) aus
und schicken es leserlich ausgefüllt und unterschrieben per Post an die
angegebene Adresse (E-Mail-Anhänge werden nicht akzeptiert).
und schicken es leserlich ausgefüllt und unterschrieben per Post an die
angegebene Adresse (E-Mail-Anhänge werden nicht akzeptiert).
Es stellt sich hier die Frage, ob die Parteien überhaupt wissen, was Worte wie "Inklusion" und "Teilhabe" oder auch politische Teilhabe überhaupt bedeuten. Denn außer der Verwendung als attraktives Schlagwort für Wahlwerbung, ist bei den Parteien wenig davon spürbar. So sind zum Beispiel die Informationen egal für welche Wahlen bei allen Parteien ausgrenzend für Menschen mit Sinneseinschränkungen.
Beispiel
Markus Ertl, von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. - von dem auch ein Großteil der von mir verwendeten Informationen stammen, hat im Vorfeld der Bundestagswahl vier Ebenen der Partei-Informationen auf Barrierefreiheit gemäß Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) überprüft, wie etwa die www‑Startseite, der Mitgliedsantrag, Informationen auf Facebook und das Wahlprogramm. Dabei waren diese Angebote bei keiner der geprüften Parteien durchgängig barrierefrei gemäß BITV 2.0‑Standards. Leider sind hier nur Fragmente aus dem Strauß an Informationen mit Hilfstechnologie gut zugänglich.
Teilhabe?
Aber jede Art von Teilhabe bedeutet, die Zugänglichkeit auf allen Ebenen und für Alle zu ermöglichen.
Diese Forderungen hat auch unser Bremischer Landesbehindertenbeauftragter Dr. Joachim Steinbrück ausgesprochen und ist auch von mir wiederholt in meiner Partei gefordert worden.
Aber jede Art von Teilhabe bedeutet, die Zugänglichkeit auf allen Ebenen und für Alle zu ermöglichen.
Diese Forderungen hat auch unser Bremischer Landesbehindertenbeauftragter Dr. Joachim Steinbrück ausgesprochen und ist auch von mir wiederholt in meiner Partei gefordert worden.
Für Markus Ertl ist es unerklärlich, dass WählerInnen mit Behinderungen, bei Parteien auf der Jagd nach Wählerstimmen, immer noch ausgegrenzt bleiben und fordert bei Wahl endlich barrierefreie Informationen, barrierefreie Wahlveranstaltungen und auch über die Wahl hinaus die Selbstver-
ständlichkeit von barrierefreier politischer Teilhabe.
Und wie sieht es aus mit Menschen mit Behinderung als aktive Politiker?
Ich habe mir die Frage gestellt, welche Parteien haben Kandidatinnen und Kandidaten mit Behinderungen zu den letzten Wahlen in Bremen aufgestellt?
Offensichtlich ist das kein Thema, es findet sich nirgendwo ein Hinweis ob eine Kandidatin oder ein Kandidat ein Mensch mit Behinderung ist und dabei sind mehr als 10 % aller Bürger von Behinderungen betroffen. Es ist offensichtlich, Menschen mit sichtbarer Behinderungen sind proportional unterrepräsentiert.
Natürlich haben wir Politiker im Rollstuhl auf allen politischen Ebenen in Deutschland, einer der bekanntesten wird Wolfgang Schäuble der seit 1990, nach einem Attentat, im Rollstuhl sitzt.
- Die 54-Jährige Eiko Kimura aus Japan, erkrankt an Zerebralparese, wurde im Juli 2019 ins japanische Oberhaus gewählt. Sie ist mit ihrem roten Elektro-Rollstuhl ins Parlament eingezogen, auf dem sie mehr liegt als sitzt. Ihre Beine und die linke Hand sind fast vollständig gelähmt. Neben ihr wurde auch Yasuhiko Funago gewählt, der an der Lou-Gehrig-Krankheit leidet, an der auch der britische Physiker Stephen Hawking erkrankt war. Die beiden Politiker sind die ersten schwerbehinderten Abgeordneten im japanischen Parlament.
- Patrick Hennings ist gehörlos. Der taz schrieb er daher per Mail von seiner schwierigen Arbeit als sachkundiger Bürger im Beirat Bremen-Oberneuland. Seit Sommer sitzt er dort für die Grünen im Sozialausschuss, ist sogar stellvertretender Vorsitzender. Aber Hennings hat ein Problem: Er benötigt für seine Arbeit die Unterstützung eines Dolmetschers – doch das Ortsamt gewährt ihm bisher keinen. Dabei habe seine Fraktion der Verwaltung das bereits vor den Sommerferien mitgeteilt. Seine erste Beiratssitzung im August musste Hennings dennoch vorzeitig verlassen, „weil es ohne Dolmetschung einfach nicht ging“ und „In Bremen fehlt bisher das Geld dafür.“.
Wie kann man das Ändern?
In der Vereinbarung zur Zusammenarbeit in einer Regierungskoalition für die 20. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft 2019-2023 findet sich auf Seite 49 folgende Aussage:
„Inklusion ist Menschenrecht: Sie eröffnet allen Menschen die Möglichkeit, überall im politischen, sozialen und kulturellen Leben nicht nur dabei zu sein, sondern es auch selbstbestimmt aktiv gestalten zu können. Menschen mit Behinderung sollen Verantwortung im Leben und in der Gemeinschaft selbst tragen und ihre Interessen selbstverantwortlich wahrnehmen und selbstbestimmt vertreten. Dies schließt die Vertretung in Parlamenten und Parteiorganen selbstverständlich ein. Es müssen auch alle Wahllokale, Wahlverfahren, Wahlmaterialien und Wahleinrichtungen barrierefrei werden. Hierzu ist es auch notwendig, dass das Informationsmaterial barrierefrei gestaltet wird und dass die Wahlhelfer*innen entsprechend geschult werden.„
Dies ist, nach meinem Wissen, die erste eindeutige Erklärung und Bekenntnis einer Regierung in der Bundesrepublik dieser Art.
Hier ist der Ansatz gegeben auch Menschen mit schwersten Behinderungen in die aktive und gestaltende Politik einzubringen. Wir brauchen alles und alle, unsere Vertreter und Verbände der Menschen mit Behinderungen, die Gewerkschaften, die Parteien, uns Menschen auf der Straße, unser alltägliches Leben bis zu dem Tag wo es „normal“ ist, dass Menschen mit Behinderungen am „normalen“ Leben teilhaben.
Und nun?
Lasst uns nun über das weitere Prozedere diskutieren und uns gute Lösungen einfallen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
© 2020 Udo Schmidt, Bremen
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